Der Redakteur der Zukunft

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23. November 2011

Corinna Milborn von News.at über Omnipräsenz, Dialogfähigkeit und Demut

»Verlage sind langsamer, als sie sein müssten, um den Anforderungen der neuen Informationsgesellschaft begegnen zu können«. Als Corinna Milborn, stellvertretende Chefredakteurin beim österreichischen Wochenmagazin News, ihren Vortrag zum Thema »Vernetzte Kommunikation. Realität, Traum oder Alptraum« mit diesen Worten begann, wollte sie keineswegs in einen Abgesang auf den Beruf des Redakteurs einstimmen, sondern plädierte vielmehr für ein neues Selbstverständnis journalistischer Arbeit.

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So wie einst Gutenberg mit der Erfindung der beweglichen Letter und des Buchdrucks die Art und Weise der Kommunikation veränderte, so entsteht heute durch das Web und Social Media eine neue Kommunikationslandschaft. 1/3 Drittel der lesenden Bevölkerung in Österreich sind in facebook. Und obwohl die News mit 750.000 Lesern etwa ein Zehntel der Bevölkerung durchdringt, bestimmten, so die Journalistin Milborn, nicht mehr die Chefredakteure die Themen, über die morgen gesprochen werde, vielmehr seien es die Leser, die Nutzer: »Früher genügte es, die Seiten mit den Meldungen der Agenturen zu füllen. Doch heute ist jede Nachricht, die eine Presseagentur herausgibt, bereits alt. […] Unser Journalismus muss sich stark verändern, weil er sonst schlichtweg verschwinden wird. […] Zeitungen müssen heute analysieren und kommentieren.«

Online ist nicht Print

Print ist für viele Medienmacher, die Verlagsgruppe News eingeschlossen, noch das treibende Geschäftsmodell. Klar, es gibt flankierende Webseiten, die allerdings in den meisten Fällen – so auch in dem österreichischen Verlagshaus - mit geringerem redaktionellem Aufwand betrieben werden als vergleichsweise Print. Grund dafür: Mit Online wird noch kein Geld verdient, Werbung ist oft noch die einzige tragende Erlösquelle. Doch vor advertorialem Journalismus warnt Milborn eindringlich: »Man muss sorgfältig darauf achten, dass der Journalismus dem Leser und nicht der Werbewirtschaft verpflichtet bleibt.«

Zudem, so die Forderung der Journalistin, muss sich die Arbeitsweise der Redakteure grundlegend ändern. Wurden Redaktionssysteme ursprünglich für Print konzipiert, sind heute technische Systeme verfügbar, die erlauben, Inhalte mediengerecht aufzubereiten. Trotzdem praktizierten viele Redakteure noch einen manuellen Copy & Paste-Journalismus, um Inhalte aus dem Print-Workflow in die anderen Kanäle zu transportieren. Die Technik ist da, wird aber von den Print-Redaktionen nicht genutzt. Besonders paradox: Obwohl vieler ihrer Kollegen längst »crossmedial denken«, arbeiteten sie noch nicht so. Ein Beispiel dafür: Social Media, insbesondere Twitter, gehört zum Redaktionsalltag. Sei es, um neben den klassischen Medien und Agenturen noch andere, diversifizierte Quellen zu bemühen (Tipp: Listen anlegen!), eigene Nachrichten zu verstärken oder auch in den Echtzeitdialog mit Nutzern oder Kollegen zu treten.

Johannes F. Woll, Strategieberater Schweizer Degen. Media & Publishing Consulting & XING Experte über den Journalisten und den Verlag der Zukunft im Dialog mit censhare.

Eine neue Sprache braucht das Land!

Ganz selbstverständlich werden bei Twitter Informationen auf die berühmten 140 Zeichen destilliert. Im Print (und leider auch dem Web) dominieren oft noch epische Berichte. Auch hier ist Milborns Forderung eindringlich: »Erzählstrukturen ändern sich. Epische Berichte funktionieren nicht mehr. Journalisten müssen sich kürzer halten, vernetzter und bildhafter kommunizieren, »mosaikartig«, wie es Blogs vorleben.«

News übernimmt hier in der österreichischen Medienlandschaft eine Vorbildrolle: Der Erfolg des Blattes beruhte auf den mit Grafiken und Schautafeln angereicherten Enthüllungsstories und Exklusivberichten.

Wahrheit oder Kolportage?

Gerade in Zeiten des Bürgerjournalismus wird professioneller Journalismus wieder wichtiger. Es muss Personen geben, die das hauptberuflich machen: Quellen müssen überprüft werden. Eine Chance der Zeitungen liegt darin, Garant für gesicherte Information zu sein. Milborn hat ein anschauliches Beispiel mitgebracht:

Barcelona police brutality

Das Bild wurde bei Straßenräumung in Barcelona von einem Passanten aufgenommen und auf flickr.com gestellt und dort binnen dreier Stunden über 800.000 mal abgerufen. Brutale Polizeigewalt gegen Rollstuhlfahrer, titulierte das Bild, das auch bei uns Entsetzen und Verachtung hervorruft. Erst die Recherche eines »klassischen« Journalisten förderte Zutage, dass der Rollstuhlfahrer nicht geschlagen wurde, sondern ein hinter ihm randalierender Straßenkämpfer. Für solche investigativen Nachforschungen, so das Fazit der Expertin » braucht‘s dann die journalistischen Profis«.

Fazit

Man darf den Leser nicht mehr als reines Publikum verstehen, sondern muss ihn wie einen Dialogpartner behandeln. Zugegeben, nicht alle Leser wollen interagieren, aber Medienunternehmen müssen Dialogbereitschaft zeigen, und vor allem Zuhören lernen.

Journalisten müssen wieder investigativer arbeiten, Fotoreportagen vor Ort machen, eigene Analysen liefern und interessant und reflektiert kommentieren.

Redakteure müssen zu ihren Lesern und Nutzern wieder Vertrauen aufbauen und immer wieder aufbauen. Auch journalistische Marken wollen aufgebaut und gepflegt sein.

Und schließlich müssen sich Redaktionen umstellen, crossmedial denken und crossmedial arbeiten.

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